Leb' den Moment
Ich mach' mir die Welt
- widdewidde wie sie mir gefällt
Ameland ist eine
eigene Welt. Zumindest erschafft sich unser Lager auf Ameland seine eigene
kleine Welt. Eine Welt, in der wir zusammen den Alltag gestalten und zusammen
leben. Die wir sogar physisch verändern. 3 Häuser, die eigentlich als separate
Unterkünfte vermietet werden, lassen wir verschmelzen und bringen die
herrschende Ordnung völlig durcheinander. Wir lassen keinen Stein auf dem
anderen und sorgen dafür, dass unsere Vermieterin ihr Heim nur nach zweimaligem
Blinzeln wiedererkennt. Wir stellen die Zeit in unserer Welt auf den Kopf.
„Weiß überhaupt jemand, wie spät es ist und welchen Tag wir haben?“ Ist auch
eigentlich völlig egal. Hauptsache wir sind zusammen. In unserer kleinen Welt…
Nun ist es schon wieder soweit. Der Alltag kehrt zurück. Die
Betreuer sind wieder lernen oder arbeiten, für die Kinder geht es morgen wieder
in die Schule. Zeit, zurückzublicken.
Zurückzublicken auf 14 Tage mit 42 Einheiten voller Programm,
die teilweise aufregend, spaßig, beruhigend oder auch einfach nur schön waren. Auf
feste Abläufe, die mit etwas Abstand zuhause sicherlich vermisst werden. Wenn
ich jetzt fertig gegessen habe, räume ich mein Geschirr in die Spülmaschine.
Ohne laute Musik, ohne Rakete, ohne Applaus. Ohne dutzende Freunde. Danach
setze ich mich an den Schreibtisch, anstatt zur BeKo (Betreuerkonferenz) zu
gehen. Es ist irgendwie viel zu ruhig. Auch wenn auf
Ameland manchmal ein Bedürfnis nach Ruhe aufkommt, jetzt gerade spüre ich ein
Bedürfnis nach Lärm und Chaos. So wie ich es 2 Wochen lang erleben durfte.
Das erste Mal überhaupt gab es keine Veränderungen im
Betreuerteam. Keiner wollte sich das erneute Spektakel entgehen lassen.
Dementsprechend ruhig verlief die Vorbereitung auf das Lager, die Abläufe sind
bekannt und wir ein eingespieltes Team. Umso verwunderlicher, dass ausgerechnet
der Personalmangel das größte Problem während des Lagers darstellte. Christian
und Can mussten leider kurz vor dem Lager absagen. Nadia, Franzi, Steffi und
Ralf mussten uns verfrüht verlassen. Und auch das Küchenteam hatte mit den
Abgängen von Bärbel und Bea stark zu kämpfen. Das war eine ungewohnte
Situation, Aufgaben mussten neu verteilt werden, Kraftreserven mussten komplett
ausgeschöpft werden. Dabei war es völlig in Ordnung, zwischendurch an sich zu
zweifeln. Aber alleine der Blick in die Gesichter der Kinder, insbesondere beim
Abschlussabend, zeigt: Irgendwie ist das, was man vorher gefühlt haben mag nur
eine gestresste Momentaufnahme. Das, was hier gerade passiert, bleibt für
immer. Zusammen zu lachen, zu weinen, Glück zu empfinden; all das passiert
gerade in diesem Moment in dieser zusammengewachsenen Gemeinschaft. Vor 2
Wochen noch war dieses Gebilde aus 106 Leuten nur ein verstreuter Haufen.
Dieser Haufen wurde durch 2 Wochen Lagerleben derart zusammengeschweißt, dass
sich Leute ohne zu zögern umarmen, die vorher überhaupt keinen Bezug zueinander
hatten.
Beim Reflektieren des Lagers wird mir eines klar. Eigentlich
merke ich es in jedem Jahr, aber es war nie so greifbar wie jetzt. Was macht
Ameland zu dem was es ist? Es sind die kleinen und großen Momente, die man als
außenstehender vielleicht gar nicht richtig wahrnehmen würde. Spontane
Kusselköpfe durch einen mucksmäuschenstillen Essenssaal, Konfetti-Angriffe
mitten in der Nacht zum Geburtstag, der Siegeszug der Jungs nach dem
Geschlechterkampf, überraschende Raketen für das Küchenteam und so viel mehr.
Diese Dinge gehen über das geplante Programm hinaus, und lassen diese tiefe
Liebe zu Ameland entstehen, die ich bei so vielen Menschen spüre. Die sich in
einem neuen Tattoo äußert, in den Tränen am Abschlussabend oder darin, dass
Kinder zu Besuch kommen, die zu alt sind es aber einfach nicht lassen können
Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Eine Gemeinschaft, in der sowohl die Kinder, als auch die
Betreuer und das Küchenteam stets etwas Neues lernen. Weitestgehend auf
Privatsphäre zu verzichten und auf engstem Raum mit unbekannten Menschen zu
leben, Rücksicht auf andere nehmen und gegenseitig für einander einstehen; das
ist nur ein Teil der Dinge, die wir jedes Jahr wieder lernen.
Wir lernen auch, bewusst auf die virtuelle Welt zu
verzichten. Ich stehe nach wie vor zu 100% hinter der Entscheidung, die Kinder
keine Handys mitnehmen zu lassen. Und jedes Jahr bin ich wieder überrascht,
dass diese Regel ohne Murren akzeptiert wird, berücksichtigt man welchen
Stellenwert das Handy mittlerweile im Alltag eines jeden Kindes hat. Auf
Ameland ist es nicht wichtig, wer wie viele Follower hat. Wer die meisten Likes
bekommt. Wer in welchen Bildern markiert wird. Hier wird die Zeit zurückgedreht
und man beschäftigt sich nur mit sich und seinem greifbaren Umfeld. Das merke
ich auch an mir, obwohl ich ein Handy dabeihabe. Am Ende der Freizeit stehen
bei dem WhatsApp Symbol 117 ungelesene Nachrichten. Nicht weil ich diese
absichtlich ignoriere, sondern weil es grad einfach nicht so wichtig ist.
Wichtig ist das Hier und Jetzt. Ein Schritt aus dem Betreuerraum und schon ist
man von Kindern umgeben. „Spielst du mit mir Basketball?“, „Gibst du mir ein
Kühlakku?“, „Bauen wir die Carrera Bahn auf?“. Da darf das Handy ruhig links
liegen bleiben.
Ein Anliegen bleibt mir dennoch, denn der in den Social
Media vorhandene Vergleichsdruck lässt sich scheinbar nicht immer komplett
abstellen. Mein Wunsch & Appell an euch: Es könnte nicht egaler sein, ob
auf eurem T-Shirt Champion / Adidas / Levis oder H&M steht. Ob auf euren
geputzten Sneakern Nike oder Victory steht. Ihr seid mehr, als das was ihr
tragt! Bitte vergesst das nie.
Denn ihr ALLE macht Ameland zu dem, was es ist. Neben einem
fantastischen Küchenteam, welches rund um die Uhr als Freunde zur Verfügung
steht und neben den Betreuern, die wieder einmal über ihre Grenzen
hinausgegangen sind und alles gegeben haben. Ihr seid der Grund, warum wir Betreuer
überhaupt Spaß daran haben stundenlang Kleinigkeiten für das Lager
vorzubereiten.
Danke auch an alle lieben Nachrichten, die uns von Seiten
der Eltern und der Kinder erreicht haben. Das tut gut zu lesen und weckt
Vorfreude auf das nächste Jahr. Danke an alle, die uns einfach so dabei
geholfen haben, Material zu verpacken und die Logistik zu stemmen. Danke an
alle, die mit dabei waren und ihre gute Stimmung verbreitet haben. Danke an
Julia, die uns seit 2011 die Treue hält und jetzt leider nicht mehr mitfahren
kann. Danke an alle, die wir nicht mehr auf Ameland wiedersehen werden.
Ich hoffe, das sind nicht allzu viele und wünsche mir, viele
von euch noch einmal auf der schönsten Insel der Welt sehen zu können.
Mit Fernweh
Niklas
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